Die Mütze (Schreibwettbewerb MDR 2013)

 

Die Mütze

 

 

 

Nein, Mama, nein. Ich will das nicht.“ Der sieben jährige, wütende Junge, verstand überhaupt nicht was mit ihm passierte. Sein Dämon tobte in ihm und erst viele Jahre später wird er erfahren, was er bereits als fünf jähriger erleben musste. In seiner unkontrollierten Wut, reißt er sich seine schwarze Wollmütze vom Kopf und schmeißt sie auf den Bürgersteig. Es ist November und der erste, kalte, Niederschlag, der auf dem Bürgersteig eine graue, matschige, Schlamm-Schnee-Landschaft hinter lies.

 

Die Mütze versteht gar nicht was ihr geschieht. Sie war doch immer da,liebt diesen Jungenkopf und den einzigartigen Geruch seiner Kopfhaut. Immer hatte sie ihn gewärmt und niemals eine Erwartung gehabt. Sie liebte diesen Kopf, bedingungslos. Jetzt lag sie hier auf dem Bürgersteig, im Schneeschlamm. Es war nass und kalt. Und das erste mal in ihrem Leben fühlte sie sich einsam und allein. Große und kleine Füße traten auf sie und jede Berührung dieser Art tat ihr sehr weh. Das kalte Wasser saugte sich immer mehr in ihre Fäden und bald würde sie ersticken. Vor Kälte zitternd lag sie dort am Boden, in diesem grauen Matsch, und schaute nach dem Jungen. Sie würde sterben, verrecken, und doch schaute sie bedingungslos nach ihrer großen Liebe, dem Jungen. Dann hörte sie die Stimmen und die klangen verächtlich:“ Schämen Sie sich nicht. So hier auf dem Bürgersteig zu liegen. Haben Sie denn gar kein Ehrgefühl ?“ Sie schaute nach oben. Ein Hut, Indiana Jones Stile, braun farbig, sprach zu ihr. „Für sie ist es besser dort unten im Schlamm zu sterben. Schauen Sie sich doch einmal an. Wie wollen Sie denn ihre Aufgabe erfüllen ? Sie sind doch ruck-zuck mit Wasser voll gesogen. Und wie wollen Sie dann den ihnen zugeteilten Kopf schützen und wärmen? Und dann ihr aussehen.“ Eine weitere Stimme kam dazu. Von einer grauen, edlen, Pelzmütze:“ Da kann ich nur zustimmen, Herr Hut.“ Sie wendete sich der Mütze zu:“ Schauen Sie mich an. Meine Fasern sind dicht und Wasser perlt an meiner Struktur ab. Im Sommer kühle ich und im Winter wärme ich. Und Sie ? Sie sind zu nichts nutze. Das beste ist, wenn Sie sich jetzt in dem Schlamm auflösen und niemanden mehr belästigen. Sie sind eine Schande für unser da sein und wer glaubt wohl an so ein nichts.“ Dann verstummten die Stimmen und die Mütze lag allein auf diesem Bürgersteig. Sie weinte und fühlte sich so allein und einsam. „Keiner glaubt an mich“, schrie sie weinend aus ihrer traurigen Mützen-Seele heraus und war bereit zu sterben. Sie zitterte in allen Fasern und konnte keinen Tropfen der schlammig-wässrigen Flüssigkeit mehr aufnehmen. Gleich würde der Moment kommen und sie würde eine tote Materie werden, die sich in den nächsten Wochen auflösen würde und von Wollläusen und anderen Insekten in das Nichts gefressen wird. In ihren letzten, noch lebenden, Minuten sah sie die Bilder ihrer Vergangenheit vor sich. Sie sah die Schafe in Neuseeland. Dort kam sie her und von dort kommt die edelste und wertvollste Wolle der ganzen Welt. Sie sah, wie sie geschoren wurde und mit ihren Geschwistern in einer großen, grauen, Metallbox verpackt wurde. In der besten Galvanik von Neuseeland wurde sie gewaschen und fein gemacht. In den Südstaaten der USA wurde sie in der größten Wollweberei der Welt mit schwarz gefärbt und zu einer Wollmütze verarbeitet. Das seidene Siegel in ihr zeigte ihre Herkunft und den Produktionsort. Kenner sahen sofort, das sie eine Königin der Wollmützen in ihrer Hand hielten. Eine Königin mit Eigenschaften, die keine andere Wolle auf der ganzen Welt bieten konnte. Dann sah sie ihre Eltern, Vater und Mutter Schaf. Sie riefen ihr zu und sie machte sich auf den Weg in das Sonnenlicht. Dann verstummte der Lärm und es wurde Stille in ihr...

 

 

 

Stolz schaut sie auf die tausenden von Menschen, die ihr begeistert immer wieder zurufen. Gut, sie rufen nicht sie, sonder ihn, den Jungen. Aber sie, die schwarze Wollmütze, an die niemand glaubte und die auf einem Bürgersteig in Detroit fast ersoffen wäre, sitzt wieder auf seinem Kopf. Und sie riecht diesen Duft seiner Haare und seiner Kopfhaut. Das ist unentliebbar. Und sie erinnert sich an den Bürgersteig. Sie hatte schon nichts mehr gespürt und dann war er zurück gekommen. Die ganzen sechzig Meilen. Er hatte sie aus der Matsche gerissen, die braune Wasserbrühe aus ihr herausgepresst und sie unter seinen Wollpullover gesteckt. Diese Wärme hatte ihr das Leben gerettet. Und seit diesem Tag waren sie unzertrennlich. Sie war immer auf seinem Kopf, zu jeder Jahreszeit. Und er glaubte an sie, seine Mütze. In allen Zeiten der letzten fünfzehn Jahre waren sie zusammen und gingen durch die Hölle. Und sie, die Mütze aus Neuseeland, liebte ihren Jungen. Jetzt, in diesen Momenten, strahlte sie eine Wärme, Geborgenheit, Zuneigung und Liebe aus, die den Jungen durchströmte und ihm die Kraft für das singen gaben. Und er sang seine Worte im Rapp:“Schlechtes Gewissen.“

 

Und die Menschen riefen ihm und der Mütze zu:“M in M,M in M , M in M.“